Nedim Cetinkaya: Heimat ist auch dort, wo man sich willkommen fühlt
Nicht daheim und doch zu Hause – so umschreibt der Kurdisch stämmige Österreicher Nedim Cetinkaya seine Beziehung zu Österreich und den Menschen, die hier leben. Mit seiner österreichischen Frau und dem gemeinsamen Sohn lebt er in Vöcklabruck und kann von sich behaupten, gut integriert zu sein, ohne auf seine Kultur und Religion verzichten zu müssen.
An einen drehbaren Aschenbecher als Spielzeug und den einzigen Regenschirm im Dorf erinnert sich Nedim Cetinkaya auf die Frage, was seine Assoziationen damals zu Österreich waren, bevor er Ende der 80-er Jahre ins Ungewisse aufgebrochen und nach Wien geflogen ist. „Den hat mein Opa von seinem Gastarbeiterjob in den 70-er Jahren in Tirol mit nach Konya gebracht, und das war lange Zeit mein liebstes Spielzeug, dieser Aschenbecher, den man oben drehen konnte“, erzählt der 44-jährige Österreicher mit kurdischen Wurzeln in fließendem Deutsch. Als er nach Österreich kam, hat er die überall in den Lokalen rumstehen sehen und sie erinnerten ihn damals kurioser Weise immer wieder an seine Heimat und das Aufwachsen in der Türkei in einer ländlich geprägten Region. In einem traditionell islamischen Umfeld. Auch Regenschirme, erinnert sich Cetinkaya, gab es in seiner Kindheit in dem kleinen Dorf in der Nähe der rasant gewachsenen Millionenmetropole Konya nicht. Und so war der erste, den der Großvater aus Tirol mitbrachte, ein Unikum und über viele Jahre sorgsam gehütetes Souvenir. Den zweiten hat Nedim Cetinkaya dann Jahrzehnte später selber bei einem Kurzurlaub in der Heimat seiner Schwestern mitgebracht. Seither hat er jedes Jahr beim Heimaturlaub einen schönen, neuen mit im Gepäck.
Österreich war für den damals 22-Jährigen „ein Land in Europa, die Hauptstadt Wien habe ich vom Namen her gekannt und dass es da irgendwo ein Bundesland Namens Tirol gibt wusste ich auch – ja, und dass in diesem unbekannten Land die Wirtschaft boomt und es Arbeitsplätze auch für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen gibt.“ Grund genug, für ihn gemeinsam mit einem Freund nach Abschluss der Matura die Zelte daheim abzubrechen und in den Flieger nach Wien zu steigen. Viel Zeit ist seither vergangen, unterschiedliche Jobs bei einer Leasingfirma sorgten für eine durchgängige Erwerbsbiografie, Wohnungswechsel und Sprachkurse kennzeichneten die erste Zeit.
Bei einem dieser Kurse hat er auch seine Frau kennen gelernt, die dort Lehrerin war. Seit 20 Jahren sind die beiden nun zusammen, im Herbst 2014 hat ist der gemeinsame Sohn Denis in die vierte Klasse Volksschule gekommen. „Damals, als ich in Wien ankam und dann ziemlich schnell in Vöcklabruck Fuß fassen konnte, fühlte ich mich willkommen und auch aufgenommen“, erinnert sich Cetinkaya an die erste Zeit in Österreich zurück. Heute, nach mehr als 20 Jahren hier, empfindet er das etwas differenzierter, womit er vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits lange in Österreich leben und meist auch die Staatsbürgerschaft haben, aus der Seele sprechen dürfte. Das bestätigen viele Gespräche der letzten Jahre mit türkischen Migrantinnen und Migranten. Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung seinen zunehmend zu spüren. Woran das liegt? „Vermutlich auch an der wirtschaftlichen Situation, die bestimmte politische Strömungen begünstige“, mutmaßt Cetinkaya. Die Menschen haben Angst, dass ihnen jemand was wegnimmt und grenzen sich deshalb zunehmend ab. Natürlich gäbe es auch immer wieder schwarze Schafe unter Ausländern, was dem Bild über Ausländer und damit auch der Integration abträglich sei und die Medien täten hier auch durch häufig sehr negative Berichterstattung ihr Übriges dazu.
Er selbst fühlt sich zwar gut integriert, hat auch türkische und österreichische Bekannte und Freunde, erlebt aber auch immer wieder Ablehnung. Vor allem am Arbeitsplatz sei diese manchmal besonders spürbar, was ihn auch zu der Aussage bringt, dass er sich heute in bestimmten Situationen manchmal mehr als Ausländer fühle als noch vor ein paar Jahren. Ob das mit seiner Religion, die ihm auch wichtig und ein Bestandteil seines Lebens ist, zusammen hängt, oder nur mit seinem südländischen Aussehen und dem Namen, kann er nicht immer orten. Schade findet er es allemal. „Schade, dass Menschen nicht Unterschiede einfach anerkennen, respektieren und auch wertschätzen können, sondern immer gleich aufgrund von anderem Aussehen bewerten müssen, auch wenn man den Mensch gegenüber gar nicht kennt“, meint er nachdenklich. Integration ist für ihn mit anderen gut zusammen zu leben, sich an die Spielregeln zu halten und aufeinander zuzugehen, neugierig und offen für das Andere zu sein aber auch seine Kultur leben zu können und sich respektiert zu fühlen.
Für seinen Sohn wünscht sich Cetinkaya, dass die Menschen auf der ganzen Welt aber auch besonders hier in der Region in Frieden miteinander leben können und es irgendwann egal ist, ob man Cetinkaya oder Huber heißt, wie man ausschaut und auch welche Hautfarbe oder Religion man hat. „Ich denke, dass wir hier alle aufgefordert sind, daran zu arbeiten, nicht ständig zu schubladisieren und zu bewerten und damit immer andere gleich in „Kastln“ einordnen und ganz oft dann abwerten“, ist sein Appell.