Denis und Recep: Fremd ist, was wir noch nicht gesehen haben.
Aufwachsen tun die beiden gerade in einer kleinen Provinzstadt in Österreich. Geboren sind sie vor neun beziehungsweise zehn Jahren hier im örtlichen Krankenhaus. Doch das Fremde, manchmal so Andere ist ihnen gut vertraut und eigentlich gar nicht wirklich fremd: kommen sie doch jedes Jahr für ein paar Wochen nach Mittelanatolien um den Rest der Familie zu besuchen.
Recep Yigit (10) und Denis Konrad (9) sind nicht nur unzertrennliche Freunde, sondern auch zwei kleine Kosmopoliten, die sich überall ein bisschen zu Hause fühlen. Hier in Vöcklabruck genauso wie in den kleinen Dörfern ihrer Väter nahe Konyas im Herzen der Türkei.
Zwei dunkelbraune Augenpaare fixieren mich etwas aufgeregt und ziemlich neugierig, als ich die erste Frage zu stellen beginne. „Fremd ist, was ich noch nicht gesehen habe“, ohne viel nachzudenken kommt das Denis über die Lippen und Recep meint dazu bestätigend: „Genau“. „Das sind Menschen und Dinge, die ich nicht kenne. Ja auch Menschen die anders ausschauen und was anderes mögen als ich. Die was anderes wissen, als wir wissen.“ Geht das muntere Geplaudere der beiden ohne Punkt und Beistrich weiter. Die anfängliche Nervosität ist schnell verfolgen und es scheint so richtig Spaß zu machen, sich mit einer Buchautorin über das Fremde zu unterhalten. „Ist doch immer wieder gut, wenn man was Neues lernt“, meint Denis. Und das – Oder?, das er der Feststellung gleich hinter her schickt ist dem Tonfall nach nicht als Frage, sondern vielmehr als Bestätigung zu verstehen. Wenn man etwas begegnet, das einem fremd ist, dann macht das manchmal unsicher und schüchtern, sind sich die beiden einig. „Aber es ist auch spannend, aufregend und interessant“, meint Denis. „Einfach geil“, strahlt Recep, weil er nach längerem Nachdenken endlich das passende Wort dafür gefunden hat. Ja und manchmal halt auch ein wenig komisch, das Gefühl, wenn etwas ganz neu und fremd ist.
Dem, wie jedes Jahr in den Sommerferien, bevorstehenden Besuch bei den Großeltern in der Türkei können die beiden nichts Fremdes mehr abgewinnen. Die Vorfreude ist groß. „Ich flieg am Samstag“, lacht Recep. Und Denis ergänzt: „Und ich eine Woche drauf.“ Die andere Kultur ist es, auf die sich beide freuen. Und es ist heiß dort und das Essen ist auch ganz anders. Und dann sind da noch die Großeltern, die sie ein Jahr nicht gesehen haben und die vielen Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen. Da wird dann gespielt. „Fußball“, sagt Recep, obwohl das in Österreich schöner ist, weil es da nicht so staubt wie auf den Schotterplätzen im Dorf. Und außerdem ist da in Vöcklabruck Denis da, mit dem er sich matchen kann.
Vor zwei Jahren hat Denis seinen Schulfreund auch in Bozan nahe der Provinzstadt Kulu besucht. „Sein Dorf ist größer und neuer als unser Günyüzü“, erinnert er sich an den Besuch bei Receps Großeltern. „Receps Haus dort ist groß und schön“, erzählt er. Das Dorf Günyüzü, in dem die Großeltern von Denis leben, gehört zur Provinz Cihanbeyli und liegt wie Bozan in der Nähe von Konya. „Ich freu mich auf das Essen in der Türkei“, sagt Denis. „Das ist dort viel schärfer. Ja und auch einfacher.“ „Aber auch viel mühsamer zubereitet“, meint er etwas nachdenklich. Offenbar hat er schon mehrmals seiner Oma beim Mercimek-Kochen und Baklava-Machen zugeschaut und dabei bemerkt, dass die sehr einfachen Speisen sehr viele Handgriffe und Zeit in der Zubereitung brauchen. Hoffentlich behält er sich diese Gabe der Aufmerksamkeit und die Kunst, hinter die Dinge zu schauen und eine Ahnung von der Mühe und Arbeit zu bekommen, die manchmal im Detail steckt.
„Die Döner sind in unserem Dorf besser als hier in Vöcklabruck“, kommt es von der anderen Ecke der Matratze, auf der wir in Denis Kinderzimmer am Boden sitzen und über das Fremde reden. Und auf die offensichtlich blöde Frage „warum?“ meint er nur: „Weil der Salat und die Tomaten dort direkt vom Feld kommen und total frisch sind“. Na klar, wirklich blöde Frage. Außerdem mögen die beiden auch lieber Kebab am Teller und nicht im Brot. „Mit Joghurt und Pitabrot, das schmeckt toll“, sagen sie und meinen, dass ich das auch mal probieren muss.
In der Türkei darf man lang aufbleiben, da kommt oft Besuch noch mitten in der Nacht und die Menschen sind auch ein bisserl besser drauf als hier in Österreich – einfach lustiger und freundlicher präzisiert er auf die Nachfrage, wie man das verstehen darf. Wenn sie dort sind, vermissen die Jungs aber trotzdem Österreich. „Und da freu ich mich dann riesig auf meine Freunde, die fehlen mir schon, wenn ich weg bin, Oma und Opa kommen ja immer mit “, gesteht Recep. „Und mir fehlen die Großeltern“, fällt ihm Denis ins Wort. „Meistens kommen Oma Helga und Opa Franz aber dann nach“, schwärmt er. Und dann gibt es unbeschwerte Tage mit ihnen am Meer in der Südtürkei. In diesem Jahr aber nicht, weil der Opa mit einer Hüftoperation im Krankenhaus liegt und nicht fliegen kann, was Denis sehr bedauert.
Zweisprachig aufwachsen ist für die Jungs kein Problem. „Recep, der daheim türkisch spricht, kann das besser als ich“, weiß Denis. „Und ich rede mit meinen Eltern deutsch und kann halt das perfekt“. So können sie sich gegenseitig was beibringen und voneinander lernen – „obwohl Recep besser Deutsch kann als ich Türkisch“, meint Denis durchaus selbstkritisch. Aber das kann er jetzt wieder üben und dann mit Recep weiter lernen, wenn das neue Schuljahr beginnt. Beide haben ja große Ziele und wollen mal einen ordentlichen Beruf lernen: „Ich möchte Taxifahrer werden“, sagt Recep. „Und ich“, sagt Denis, “ Mechaniker, weil ich Autos mag. Oder vielleicht auch Polizist“.
Wie das ist, wenn man zwischen zwei Welten und Kulturen aufwächst, will ich noch wissen. „Super“, die Antwort im Duett. Da hat man von allem ein bisserl was und kann sich immer das Gute raussuchen, meinen die beiden – der eine Österreicher mit türkischen Wurzeln, der andere türkischer Staatsbürger, also ad Definition klassischer Ausländer. „Ja und wenn ich da bin in Österreich, dann vermiss ich ein wenig die Türkei“, sagt Recep. „Und wenn ich dort bin, hab ich Sehnsucht nach Österreich“, ergänzt Denis. „Das ist halt so, wenn man in zwei Kulturen lebt, da hat man immer ein bisserl Heimweh nach der, in der man grad nicht ist“, die sehr erwachsen wirkenden Worte zum Schluss.