Hartono kommt aus Pujut in Zentrallombok und macht seit seinem neunten Lebensjahr Musik. Derzeit tagsüber im Sheraton Sengiggi Beach, wo er eigentlich im Service beschäftigt ist. Da der Hotelmanager sein Musiktalent erkannt hat, darf er seit einigen Monaten die Gäste des Hotels mit seinen Pianoklängen unterhalten. Von 8 bis 11 Uhr während des Frühstücks und bei verschiedensten Abendevents. Mittlerweile ist er der Superstar im Hotel, auch unter den Kollegen hat er sich einen besonderen Status erarbeitet und wird von allen bewundert und auch fleißig beklatscht.
Tut dem jungen Indonesier sichtbar gut und hat auch für das Hotel Vorteile, da ein externer Musiker wesentlich teurer wäre. So hat jeder etwas davon, und vor allem die Gäste, die mit Klängen von Frank Sinatra, Louis Armstrong bis hin zu Klassikern von Eric Clapton, Tina Turner und Sting aber auch klassischen Darbietungen in den Tag hinein begleitet werden. Abends, wenn es die Arbeit erlaubt, ist Hartono dann in diversen Bars im Ort zu hören. Schlaf braucht er nicht viel, meint er. Er ist ja noch jung und wenn die Arbeit Freude macht, dann spielt Zeit keine Rolle. Wie überall hier auf Lombok, scheint Zeit nicht Geld zu sein und manchmal stellt das die gelernten Europäerinnen und Europäer auf eine harte Geduldsprobe. Aber auch Geduld kann man lernen!
Auf Lombok und den Gili Islands kann man auch in kürzester Zeit das Musikrepertoire wieder aufladen. Zumba Performance gehört her zum regelmäßigen Sonntagsprogramm am Sengiggi Beach. Und in den Bars auf den Gilis wird alle paar Meter eine andere Musikrichtung dargeboten, sehr oft in allerbester Live Musik. Die Klassiker dabei sind neben Chill-out und Lounge-Musik immer noch Bob Marley, die Beatles, Sting, Queen, Brian Adams und Bon Jovi. Reggae vom Feinsten gibt es jeden Tag im Sama Sama Beergarden auf Gili Trawangan. Bands, bestehend aus Einheimischen und Philippinos, die meisterhafte Sänger sind, bringen die Gäste mit Klängen aus der Karibik in Stimmung. Nur dass es hier noch viel ursprünglicher und wesentlich billiger ist, als auf Jamaika oder anderen Karibikinseln. Manchmal dürfen auch „Weiße“ mitspielen und ihr Können gemeinsam mit den Insulanern zum Besten geben.
Und dass alte Traditionen und Lebenseinstellungen auch eine Jahrtausendwende überdauern können, sieht man an den vielen Rasta Frisuren, der bunten und luftigen Kleidung, mit der man schon in den 60-er und 70-er Jahren in war und der Musik, die bereits mehr als ein halbes Jahrhundert überdauert hat und immer noch einem bestimmten Zeitgeist und einer Lebenshaltung Ausdruck verleiht. Die Bealtles, Bob Marley und UB40 hätten ihre Freude dabei. Der Traum von Freiheit und Frieden für die ganze Welt, speziell für die unterdrückten Völker Afrikas und Asiens, stehen bei Jung und Alt auf der Insel hoch im Kurs. „Stand up for your rights“ ist ein Kultsong, der rauf und runter gespielt und gesungen wird. Beeindruckend die Interpretationen der Rastafarians. Seit der gebürtige Jamaikaner Bob Marley den Rastafarian-Kult als „seine Religion“ salonfähig gemacht hat, bevor mit nur 37 Jahren nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt am Tegernsee nahe Münchens, an Krebs gestorben ist, scheint die Vision nichts von ihrer Faszination verloren zu haben.
Beim Insellauf am nächsten Morgen kann man überall die Überreste von durchzechten Nächten noch sehen. Zumindest am Hinweg. Am Rückweg war meist die Müllabfuhr schon da. Ein Pferdegespann, das die Berge von Plastik und leeren Flaschen in die Mülldeponie bringt. Dazwischen Kinder, die verpackt in ihren Schuluniformen in die Schule schlendern. Eilig hat es hier keiner, auch die Kids nicht. Überall wird gewaschen und gewischt, gekehrt und poliert, damit ab etwa neun Uhr die ersten Gäste wieder in einem schönen und sauberem Umfeld bedient werden können. Es riecht nach frisch gewaschener Wäsche, Seife und Fensterputzmittel vermischt mit frischem Pferdemist, da und dort nach verfaultem Müll. Beim Loslaufen ist gerade die Sonne über dem rund 3600 hohem Rinjani-Vulkan auf Lombok aufgegangen, auf der Ostseite der Insel sieht man im morgendlichen Nebeldunst in der Ferne den Gipfel des Mount Agung auf Bali, einem der bekanntesten Vulkane in der Region. Wenig später, bei der Rückkehr, ist auch der Rinjani wieder in sein Wolkenkleid gehüllt. In der Regenzeit vergeht kaum ein Tag, an dem es in den Bergen nicht regnet. Und trotzdem wird das Wasser für den Reisanbau immer knapper. Drei Ernten, die es vor ein paar Jahren noch gegeben hat, sind heute kaum mehr möglich. Liegt unter anderem auch am extensiven Obst- und Gemüseanbau, der nicht so arbeitsintensiv ist und mehr bringt. Und auch daran, dass die Jugend in die städtischen und touristischen Zentren zieht und Arbeitskräfte in der Landwirtschaft immer rarer werden.
Die Frage, wo der ganze Müll entsorgt wird, kann nicht befriedigend beantwortet werden. Manchmal hat man den Verdacht, dass ein Teil davon immer noch im Meer verschwindet. Ähnlich wie auf den anderen Inseln, auch den etwas abgelegeneren wie Sulawesi oder Flores, ist das Umweltbewusstsein hier auf den oft zitierten „Malediven Indonesiens“ noch wenig ausgeprägt und der sorglose Umgang der Einheimischen mit den Abfällen ist ein Riesenproblem im Inselstaat Indonesien. Die Touristenmassen – auf Bali beispielsweise – tun natürlich noch das Ihrige dazu. Jedenfalls kann man beim Rundlauf um die Insel, rund 10 Kilometer, gleich ein wenig Müll sammeln und ihn dort deponieren, wo er hingehört. Vereinzelt werden man Touristen dabei beobachten. Zwischen sieben und acht kommen auch die ersten Boote mit den Beschäftigten von Bangsal auf der Hauptinsel Lombok an. Viele der Inselbewohner von Lombok finden hier Arbeit und pendeln mit dem Boot zwischen der Hauptinsel und den Gilis. Wenig später folgen die ersten Fähren und Touristenboote.
Die Luft ist noch feucht und frischgewaschen, wenn man nach einer Gewitternacht am Morgen alternativ zum Laufen in den Ort Trawangan spaziert. Die letzten Wolken verziehen sich langsam in die Berge der nahegelegenen Insel Lombok. Auf dem sandigen Weg stehen noch Wasserpfützen, der Ort erwacht langsam zum Leben. Die ersten Taucher sind bereits unterwegs, ein paar übriggebliebene Nachtbummler löschen ihren Durst noch in einem der vielen kleinen Nahversorgershops auf der Insel mit eiskaltem Bingtang-Bier. Das scheint hier nicht auszugehen, am Temperaturgrad kann man manchmal ermessen, wieviel an dem jeweiligen Tag bereits konsumiert wurde. Manchmal kommen die Lokale mit dem Einkühlen nicht nach und dann wird lauwarm getrunken. Und auch geraucht, was das Zeug hält. Es gibt kaum einen männlichen Indonesier, der nicht regelmäßig zur Zigarette greift. Der Nikotinkonsum scheint enorm, zu rauchen gibt es, was das Herz begehrt. Ganz legal und für Europäer zu unvorstellbar günstigen Preisen. Eine Packung Marlborough – und das sind die teuersten Zigaretten – kostet 1,30 Euro. Interessant wäre, herauszufinden, wie hoch die durch Nikotin verursachten Krankheits- und Sterblichkeitsraten sind. Vermutlich enorm.
Auch Mowgly, Trekkingführer am Mount Rinjani, der erst im Herbst 2015 wieder Feuer gespuckt und den internationalen Flugverkehr rund um Lombok und Bali ür ein paar Tage lahm gelegt hatte, ist Kettenraucher, wie er während der kleinen Trekking-Tour erzählt. Und zum Nikotin gibt es jeden Abend Palmwein oder Reiswein, manchmal in großen Mengen. Erstaunlich, wie fit die Führer im Nationalparkt trotzdem sind. Denn gerade in der Regenzeit verlangt ihnen der über 3000 Meter hohe Berg doch einiges ab. Ein bisschen sieht er dem Mowgly aus Disneys Dschungelbuch sogar ähnlich, der kleine Indonesier, der perfekt Englisch und auch etwas Deutsch spricht, über sich selbst hartnäckig in der dritten Person. Wenn man mal weiß, dass der Mowgly, von dem er erzählt, er ist, ist die Konversation mit ihm wirklich unterhaltsam.
Und große Pläne hat der Dschungel-Buch-Junge, der gerne wie sein Vorbild im indischen Dschungel Herr über die Tierwelt werden möchte, auch: will er doch im kommenden Jahr eine eigene Trekking-Agentur mit ganz speziellen Angeboten in Nordlombok eröffnen. Die Natur hat es ihm angetan und die möchte er intakt seinen Kindern – Mowgly Junior ist gerade eineinhalb Jahre alt – weitergeben. Schwieriges Unterfangen, weiß er und wenn man um sich schaut, bekommt man den Eindruck, dass das noch Generationen dauern wird, bis sich hier etwas verändert. Die Menschen in Indonesien werfen alles immer noch sehr sorglos weg, erzählt Mowgly am Weg zu den Wasserfällen, und in der Regenzeit kommt dann die geballte Ladung an Müll mit den Wassermassen von den Bergen runter und verschmutzt die Dörfer, Straßen und die sonst so eindrucksvolle Landschaft. Auch am Sendang Glile – dem verrückten Spa – und dem Tiu Kelep – dem fliegenden Wasser – den beiden Wasserfällen in der Nähe von Senaru an den Hängen des Rijani begegnet man auf Schritt und Tritt Plastikmüll. Und wenn die Wassermassen zu groß werden und die Kanäle übergehen, schwimmt alles auf den Straßen. Eigentlich ein Wunder, dass keine Seuchen ausbrechen.
Die Fahrt über die Insel eröffnet – abseits der Müllprobleme – auch eindrucksvolle Einblicke in das noch einfache Leben der Menschen hier. Geprägt ist es von einfachstem Landleben und vor allem vom Reisanbau. So hat man auf Lombok noch viel mehr als auf Bali den Eindruck, Teil einer riesigen Reisschüssel zu sein. Dafür ist Bali in einzig großer mythischer Tempel. Aber dazu noch mehr im nächsten Beitrag.
Reis wird seit fast 5000 Jahren angebaut. Begonnen wurde mit dem Anbau in den Gebieten des heutigen China und hier in Indonesien. Von dort breitete sich diese Kultur nach Japan, Südostasien und Indien aus. Über den heutigen Iran, Irak und Ägypten gelangte der Reis nach Südeuropa, wo man um 800 in Spanien, Italien und Frankreich mit dem Anbau begann. Eroberer und Auswanderer exportierten gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Reiskultivierung dann in die neue Welt nach Amerika.
Der Nassreisanbau, der etwa 80 Prozent er weltweiten Reisproduktion ausmacht, ist sehr arbeitsintensiv, ermöglicht aber sehr viel höhere Erträge als das Streusaatverfahren. Nach der Aussaat in das relativ trockene Pflanzfeld wird der Boden auf dem geplanten Reisfeld mit Wasser, meist mit Pflügen hinter Wasserbüffeln aufbereitet. Dann werden die Setzlinge vom Pflanzfeld in das Reisfeld gepflanzt, in großen Teilen Asiens noch per Hand. Anschließend erfolgt beim Nassreisanbau die Bewässerung der Felder. Probleme entstehen, wenn der Wasserspiegel während der Regenzeit zu stark ansteigt oder wenn der Monsunregen zu gering ausfällt. Nach etwa vier bis sechs Monaten werden die Felder trocken gelegt und die Ernte mit Hand-Sicheln oder Sichelringen beginnt. Die Pflanzen werden gebündelt und oft vor Ort gedroschen. Das Stroh wird inzwischen meist auf den Feldern verbrannt. Nassreisanbau ist wegen der hohen Methangas-Erzeugung nicht unumstritten. Und ob Kulturen, die überwiegende von Anbau des Reises leben sich anders entwickelt haben als jene, die Getreide oder Gemüse kultivieren, wäre wirklich eine Frage, deren nähere Betrachtung sich lohnen würde.
Die komplexen Bewässerungssysteme, die den Nass-Reisanbau erst möglich machen, erfordern intensive Kooperation der Bauern untereinander. Wer dagegen Weizen anbaut, braucht nur Regen und kommt mit deutlich weniger Arbeit aus, was ihn sehr viel unabhängiger von anderen Einflüssen und auch den Nachbarn macht. Der Psychologe Joseph Henrich von der University of British Columbia ging der Frage, ob sich daraus andere Kulturen entwickelt haben, ebenso nach wie ein amerikanisch-chinesisches Forschungsteam unter der Leitung von Thomas Talhelm (University of Virginia) und kommen dabei zu einem ähnlichen Ergebnis: Der Weizenanbau habe im Westen eher den Individualismus, analytisches Denken und damit verbunden Innovation und Kreativität gefördert. Asiatische Gesellschaften seien dagegen stärker durch das Kollektiv und ganzheitliches Denken geprägt. Eine interessante These, die ein breites Forschungsfeld aufmacht.
Notstromaggregate zeugen davon, dass über weite Strecken noch die Stromversorgung fehlt. Die Stroh gedeckten Hütten der Sasaks, die ihre eigene Religion aus hinduistischen, muslimischen, christlichen und animistischen Elementen heute noch ausüben, und auf Zentrallombok und im Süden noch zu finden sind, bestehen in der Regel aus einem großen Raum, in dem sich das gesamte Leben der mehrköpfigen Familien abspielt. Daneben gibt es einen fein säuberlich gefegten Hof, ein paar Hühner inklusive Gockel, zwei bis drei Kühe und Ziegen, einen Gemüsegarten, manchmal einen eigenen Steinbruch und natürlich die Sat-Schüssel. Viele Wege zu den Stränden sind nur mit Motorrädern befahrbar. Die Straßen sind zum Teil sehr schmal, und oft nicht asphaltiert. Im Gegensatz zu Bali also noch Natur pur. Die Frage ist nur noch wie lange, da auch hier internationale Konzerne bereits fleißig investieren und der Süden immer mehr bebaut wird mit Hotelanlagen und privaten Wohnanlagen.