Ali Aziz im Gespräch mit Opa Franz, einem alten Glasmacher
Ich bin Ali. Und ich erzähle euch jetzt etwas über die Glastradition in meinem Heimatort Schneegattern:
Der Name Schneegattern steht seit mehr als zwei Jahrhunderten für solide Glasproduktion. Die noch heute hier ansässige Riedel-Fabrik ist ein big Player im internationalen Glasgeschäft und weltweit bekannt. In vielen Kaufhäusern zwischen Sydney und New York können Weinliebhaber die begehrten Riedel-Gläser kaufen. Das hat mir Edith erzählt, die diese Orte schon besucht hat und dort immer wieder sehr stolz auf die Produkte aus unserem Heimatort ist.
Schon um 1590 soll im nahegelegenen Ort Höcken eine Farbenfabrik bestanden haben. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die Errichtung einer Rohrschmiede für Musketen und Pistolen geplant gewesen, diese Vorhaben wurde aber nie verwirklicht. Die ersten Pläne zur Errichtung einer Glashütte stammen aus dem Jahr 1610. Die erste Glashütte wurde von Josef Hauer errichtet, der der Besitzer der Glashütte von Schöneben bei Liebenau war. Diese Hütte war im noch heute nach ihr benannten Ortsteil „Alte Hütte“ errichtet. 1871 wurde die Alte Hütte an Hugo Stimpfl verkauft, der 1874 den Betrieb in einen südlich gelegenen Teil von Schneegattern verlegte und erstmals die Öfen mit Holzgas befeuerte. 1920 waren 4 Öfen, davon 3 Hafenöfen mit je 12 Hafen in Betrieb, 860 Arbeiterinnen und Arbeiter waren damals in der Hütte beschäftigt. 1924, am Höhepunkt der Inflation, wurde der Betrieb stillgelegt. Mehr als 10 Jahre waren die Menschen in Schneegattern ohne Arbeit, viele von Ihnen suchten sich anderswo Gelegenheitsarbeiten, zogen als Musiker durch die Gegend oder gingen vorübergehend ins Ausland, einige Mitte der 20-er Jahre nach Griechenland, wo sie mehrere Monate bei einem Österreicher eine Anstellung in einer Glasfabrik im Hafen von Piräus hatten. Die Familie Altmann war damals mit von der Partie.
1938 wurde aus der Glas eine Metallhütte, statt Glas wurden Granathülsen für den Krieg erzeugt. Erst 1948 ging man wieder zur Glasproduktion über. In den Jahren 1966 bis 1968 folgte die nächste schwere wirtschaftliche Krise, die im Jänner 1968 schließlich zur Schließung des Betriebes führte. Wieder waren 430 Menschen ohne Arbeit, darunter mein Leseopa Franz Konrad und dessen Vater, der auch Betriebsrat in der Glasfabrik war. Wenige Monate später, die viele Schneegatterer Glasarbeiter so wie mein Leseopa als „Gastarbeiter“ in Zwiesel verbrachten.
Die wirtschaftlich schwierigen Zeiten der 1920/30er bzw. 1960/70er-Jahre trafen die Bevölkerung von Schneegattern als Industriestandort härter, da der Ort, im Gegensatz zum Rest der Gemeinde, nicht landwirtschaftlich ausgerichtet war. Da besonders die Glasindustrie zu leiden hatte, suchten viele Glasmacherfamilien Arbeit in der Türkei, Spanien und Griechenland. Andere wiederum zogen als fahrende Musikanten durch’s Land, um ihre Familien zu versorgen. Aus diesen Gründen ist der Ortsname Schneegattern österreichweit heute noch vielen Menschen geläufig. In den schlechten Zeiten trat die Bevölkerung stets mit Geschlossenheit auf.
Der Zusammenhalt unter den Arbeitern zeigte sich auch in der Gründung des Arbeiterheimes bzw. des späteren Volksheimes, sowie der ersten Gewerkschaftsbewegung und ersten KONSUM-Verkaufsstelle des Innviertels. Bereits nach dem ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren wurden viele Vereine gegründet. So etwa die »Trachtenmusikkapelle Schneegattern« und der »Arbeiter-, Gebirgstrachten und Schuhplattlerverein“, der beim Schachelwirt zusammenkam. Der Kobernaußerwald spielte für den Ort immer eine zentrale Rolle. Es handelt sich hier um einen Mischwald, bestehend aus Fichte, Buche und Tanne und er gilt mit seiner Ausdehnung von etwa 15.000 ha heute noch als eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Mitteleuropas. Er war vor allem durch seinen Holzreichtum als Existenzgrundlage für den Industrieort Schneegattern enorm wichtig und besonders, durch die Pottaschgewinnung, für die Glasindustrie. Denn die braucht man zur Erzeugung von Glas.
Aber zurück zur Gegenwart: Im Juni 1968 – wurde der Grundstein für die neue Riedel-Glashütte in Schneegattern gelegt, mit ein Grund für den Aufschwung des Industriestandortes in den kommenden Jahren. Die Riedel-Fabrik hat heute noch ihren Standort in Schneegattern, wobei nicht mehr produziert, sondern verpackt und weltweit vertrieben wird. Riesige Lastwagen holen täglich die wertvolle Fracht, um sie zu den Flughäfen, Häfen zum Verschiffen oder direkt zu den Abnehmern im In- und Ausland zu bringen.
Opa Franz hat mir erzählt, wie er früher als Glasmacher gearbeitet hat und dass das Lied „Glasmacher-Leben heißt immer früh aufstehen…“ aus dem tatsächlichen Leben der Glasmacher berichtet. Denn die haben früher wirklich um vier Uhr Früh aufstehen und zur Arbeit gehen müssen.
Hier nun ein Gespräch, das ich mit Opa Franz geführt habe:
Ali: Wann hast du mit dem Glasmachen angefangen?
Opa Franz: Das war im Jahr 1955, zehn Jahre nach Kriegsende. Da war ich gerade 15 Jahre alt.
Ali: Wie war die Glasfabrik? War das ein großes Fabriksgebäude?
Opa Franz: Ja, schon sehr groß. Es war ein sehr schönes altes Gebäude, das schon viel erlebt hatte, auch zu Kriegszeiten. Damals wurden dort Patronen für den Krieg und verschiedene Teile für die Rüstungsindustrie produziert.
Ali: Hattest du damals nette Arbeitskollegen und viele Freunde?
Opa Franz: Ja, wir haben gut zusammengearbeitet im Team. Mit der Zeit sind dann auch viele Arbeiter aus Griechenland, Spanien, Italien und später, in den 70-er Jahren, aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien dazu gekommen. Da hatte ich auch viele Freunde – Österreicher und auch Jungs aus anderen Ländern. Besonders viel Kontakt hatte ich mit zwei Jungs aus der Türkei, das waren der Adnan und der Cemal.
Ali: Hast du zu denen noch Kontakt? Leben die noch?
Opa Franz: Zu Cemal nicht mehr. Der hat sich in Berlin niedergelassen mit seiner Familie. Die Edith und der Herbert haben ihn auch nach der Öffnung der Grenze zwischen West- und Ostberlin im Frühjahr 1989 dort besucht. Aber heute hab ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Adnan lebt in der Türkei, in Pasabace, einem Stadtteil von Istanbul. Der war gerade vor ein paar Jahren wieder einmal zu Besuch da und einige Schneegatterer haben zu ihm immer wieder Kontakt.
Ali: Wie war die Zeit damals?
Opa Franz: Es waren schwierige Zeiten. Sehr harte Arbeit und im Sommer extrem heiß. Da gab es noch keine klimatisierten Räume und im Sommer hatte es schon gerne mal 40 Grad und mehr in der Hütte. Da haben wir gescheit geschwitzt den ganzen Tag und waren nach der Arbeit ziemlich kaputt. Oft hatten wir dann auch keine Arbeit hier in Schneegattern, weil die Fabrik zu war und dann mussten wir sogar einige Jahre immer nach Deutschland zur Arbeit fahren. Ich habe damals in Zwiesel gearbeitet und als unsere kleine Birgit 1968 zur Welt kam, war ich gerade in Deutschland und konnte nicht hier sein. Das ist jetzt genau 50 Jahre her.
Ali: Habt ihr damals gut verdient?
Opa Franz: Ja, wir haben so viel verdient, dass wir unsere Familien gut ernähren konnten.
Ali: Kannst du mir sagen, wie ihr das Glas gemacht habt? Was wurde da als Grundstoff alles zusammengemischt?
Opa Franz: Da wurden Pottasche, Glasscherben, Soda und feiner Sand in der Gemengekammer zusammengemischt. Das hat mein Dad immer gemacht, der auch in der Fabrik gearbeitet hat. Und dann kam das ganze in den Schmelzofen und wurde bei rund 1500 Grad geschmolzen. Wir haben dann die Glaspfeife in die immer noch 1150 Grad heiße Flüssigkeoit gehalten und eine kleine Kugel rausgezogen. Die nannte man Köberl. Die zähflüssige Kugel kam dann in eine Form, den Model, den wir mit dem Fuß öffneten und schlossen. Wir haben dann mit der Pfeife reingeblasen und die Kugel größer gemacht und in Form gebracht. Anschließend kam sie auf das Kühlband und wurde rund zwei Stunden runtergekühlt. Dann wurde die Gemengekappe abgeschnitten. Das war echte Hand- und Mundarbeit.
Ali: Ist deshalb das mundgeblasene Glas so teuer?
Opa Franz: Ja, genau deshalb, weil es so viel Arbeitsschritte erfordert und auch Kunsthandwerk ist.
Ali: Wie viele Stunden am Tag hast du damals gearbeitet?
Opa Franz: Acht bis zehn Stunden. Und das sechs Tage die Woche bis in den 70er Jahren dann die Fünf-Tage-Woche eingeführt worden ist.
Ali: Und wie viele Gläser hast du da pro Tag gemacht?
Opa Franz: Das waren um die 500 Gläser. Alle mundgeblasen. Ali, da kannst du dir ausrechnen, wie viele Gläser das in der Stunde waren.
Ali: 60, und pro Minute ein Glas. Das ist ja wirklich stressig gewesen.
Opa Franz: Ja, oft haben wir im Akkord gearbeitet – also je mehr wir produziert haben, umso mehr haben wir verdient. Anschließend sind die Gläser in die Sortiererei gekommen, wo sie gewaschen und verpackt wurden. Dort haben auch die Oma und die Mama von der Oma gearbeitet. Mein Dad war ja in der Gemengekammer beschäftigt und er war auch viele Jahre Betriebsrat.
Ali: Denkst du gerne an diese Arbeit zurück?
Opa Franz: Na ja. Es war eine wirklich schwere Arbeit. Immer die Hitze, Sommer wie Winter. Ich kann mich erinnern. Einmal bin ich heimgekommen und meine Mama hat gefragt, ob ich in den Bach gefallen bin, weil ich von oben bis unten patschnass war. Das war aber vom Schweiß, weil es an dem Tag so extrem heiß gewesen ist. Ich bin dann zu Bach gegangen und hab mich ans Ufer gelegt zum Abkühlen.
Ali: Und hattest du da auch noch Freizeit?
Opa Franz: Ja, da haben wir dann unser altes Haus umgebaut oder ich war dann auch viel am Sportplatz Fußballspielen und später als Trainer. Und am Wochenende sind dann die Helga und die Kinder mitgefahren, wenn wir zu Auswärts-Matches gefahren sind. Jedes zweite Wochenende waren wir daheim am alten Sportplatz. Der war dort, wo man heute in den Kobernaußerwald reinfährt. An der Weißenbachstraße.
Ali: Ich habe gehört, dass ihr damals ein Lied hattet, das zu bestimmten Anlässen immer gesungen wurde?
Opa Franz: Ja, das Lied „Glasmacherleben heißt immer früh aufstehen….“. Das war ein schönes Lied, aber das kennt heute keiner mehr. Außer ein paar Alte. Wenn wir zusammen gesessen sind, haben wir das immer gemeinsam gesungen.
Ali: Das ist aber schade, dass das heute keiner mehr kennt. Es ist wirklich ein sehr schönes Lied.
Glasmacherleben
Glasmacherleben heißt immer früh aufstehn, früh aufstehn.
Die Pfeifen nehmen und in die Werkstatt gehen.
Wenn andere Leute schlafen, müssen wir schon schaffen,
am Übertrog stehn, jucheh, und`s Glas umdrehn.
Wer hat denn dieses schöne Lied erdacht.
Wer hat denn dieses schöne Lied erdacht?
Zwei Glasmacherjungen, die haben´s gsungen,
zu Köln am Rhein am Rhein bei Mondenschein.