Es war einmal ein kleines Mädchen mit dunklem, lockigem Haar. Kurz vor ihrem zwölften Geburtstag durften wir sie kennen lernen. Nein nicht im magischen Land Oz, wo die kleine Dorothy Gayle mit ihren roten Schuhen in der Fantasie-Story „Der Zauberer von Oz“ ihre fantastischen Abenteuer erlebt, sondern hier auf dieser Erde. Ganz real. Irgendwo in Südostasien, weit weg von Europa. Über ihre Herkunft gibt es nichts zu berichten. Nur, dass ihre Familie nicht in der Lage war, sich um das Kind zu kümmern. Nämlich so, wie kleine Kinder es verdient haben. Deshalb nahmen die Verwandten des Kindes die Hilfe der lokalen Kinderdorfverwaltung in Anspruch. Seither ist die kleine S. ein Teil der SOS-Kinderdorffamilie. Und seit ihrem zwölften Geburtstag ist auch in Besitz von knallroten Lederschuhen.
Die roten Lederschuhe hatte sie sich beim ersten Besuch ihrer SOS-Paten im Kinderdorf gewünscht. Eigentlich wollte die Patin – pragmatisch und praktisch, wie Frauen manchmal sind – rote Sportschuhe kaufen. Die sind für die Wiesen und unebenen sandigen Wege im Dorf sicher gut geeignet, war die Überlegung am Weg zu den Einkaufstempeln im nahegelegen Badeparadies. Doch dann hat „der Pate“ rote Lederschuhe entdeckt. Richtig schöne, rot glänzende Schuhe. Und er hat sich mit seiner Meinung, dass Mädchen sicher mehr auf diese Art von Schuhen stehen, durchgesetzt. Auch wenn sie das Mädchen nicht wirklich oft tragen wird können – in der Schule sind robuste Schuhe vorgeschrieben, die zur Schuluniform passen, im Dorf laufen die Kinder mit Flip-Flops herum – wird sie dieses Geschenk vermutlich nie vergessen. Knallrote Ballerina, die gar nicht so leicht zu finden waren. Die Freude, als das Paket im Dorf noch rechtzeitig vor dem Geburtstag ankam, war riesengroß, hat uns die Sponsorship-Managerin anschließend geschrieben und beim Folgebesuch hat das Mädchen das nochmals mit eigenen Worten bestätigt. Als Beweis dafür hatten wir ein paar Monate zuvor schon Fotos per Mail erhalten.
Mittlerweile gibt es auch zu den Schuhen passende rote T-Shirts, und seit dem Geburtstag im Mai 2018 eine rote Swatch. Mit diesem Geburtstags-Wunsch nach einer Uhr hat sie ihre Paten beim letzten Besuch auf die Heimreise nach Europa geschickt. Und natürlich sollte auch diese nach Möglichkeit rot sein. Beim Stopover in Dubai sind die beiden Weltenbummler fündig geworden und haben das Paket auch gleich in Richtung Osten geschickt. Der Expressversand kostete beinahe mehr als die Uhr. Aber diese ziert nun das zierliche Handgelenk der mittlerweile Dreizehnjährigen. Und sie ist angeblich ihr ganzer Stolz. Ganz nebenbei lernt sie mit diesem Geschenk die Uhr lesen und die neugierigen Freundinnen dürfen dabei mitlernen.
In den SOS-Kinderdörfern, die wir bisher kennenlernen durften, sind neben den Gemeinschaftsgebäuden der Verwaltung, religiösen Stätten und Kindergärten meist um die zehn Wohnhäuser zu finden, die einer Familie von acht bis zehn Menschen Platz bieten. Auf den ersten Blick sehen sich die Dörfer sehr ähnlich. Wie das Leben organisiert ist, die Tagesabläufe und religiösen Traditionen richten sich aber nach den kulturellen Gegebenheiten im jeweiligen Land und sind sehr unterschiedlich. Rund um die Wohnhäuser ist meist viel Platz zum Spielen und Herumtollen. Nicht selten sind die Kinderdorf-Mamas, sofern es die Einrichtung schon über mehrere Jahre- oder Jahrzehnte im jeweiligen Land gibt, irgendwann selbst einmal als Kinder im Dorf gelandet und haben dort ihre Familie gefunden, die Schule besuchen und einen Beruf lernen können.
Manche kommen zurück. Aus Dankbarkeit oder, weil sie einfach etwas zurückgeben möchten. An jene, die ähnliche Schicksale erleiden, wie sie sie selbst erlitten haben. In den Kinderdörfern finden sie Heimat, Gemeinschaft, Orientierung, ein respektvolles Miteinander und sie bekommen eine gute Schul- und später auch je nach Fähigkeiten Ausbildung. Damit sind sie in der Erwachsenenwelt, wenn sie großjährig sind und die Dörfer verlassen, gut gerüstet und haben gute Startchancen. Und die meisten fühlen sich nach anfänglicher Scheu in den Dörfern und den neuen Familien sehr wohl. Das kleine Mädchen mit den roten Schuhen in Südostasien macht einen sehr lebendigen und fröhlichen Eindruck, als wir ihm das erste Mal begegneten. Bereits nach einer Stunde im Dorf gab es beim Abschied eine herzliche Umarmung und die Bitte, bald wieder zu kommen.
Mit diesem Versprechen sind die österreichischen Paten mittlerweile vorsichtig geworden. Immer noch ist da ein leises Schuldgefühl, wenn sie an den ersten Besuch im SOS Kinderdorf in Sri Lanka denken und an das Mädchen, dem sie das baldige Wiedersehen damals beim Abschied versprochen hatten. Leider hat es dann in den folgenden Jahren mit einem Stopover nie geklappt und heute ist P., auch eine Dunkelhaarige mit wunderschönen, braunen ausdrucksstarken Augen, die in Erinnerung geblieben sind, eine junge Frau. Mit gut 20 Jahren steht sie auf eigenen Beinen. Irgendwo in Colombo soll sie in einem Blumengeschäft als gelernte Floristin arbeiten, hat uns die Dorfverwaltung, als sie aus dem Programm entlassen wurde, mitgeteilt.
Den Jungen in Thailand haben die Paten schon mehrmals besucht und dann auch immer für Aufregung im Dorf gesorgt. Obwohl mehr und mehr Europäer, Australier und auch Menschen aus anderen Erdteilen Patenschaften für Kinder und Dörfer übernehmen, ist ein Besuch von Paten vor Ort doch noch eher die Ausnahme und für alle Beteiligten ein besonderes Erlebnis. Die letzten Besuche von A. in Thailand und von der kleinen S. ein paar tausend Kilometer entfernt vom thailändischen Königreich, fanden in den Schulen der Kinder statt. Dort gab es dann gleich eine Lektion in Geografie und Landeskunde über Österreich oben drauf.
Die Mitschülerinnen und Mitschüler des Mädchens mit den roten Schuhen, die aus dem Kinderdorf beziehungsweise aus den umliegenden Städten und Dörfern kommen, haben die Besucher mit Handschlag und einer respektvollen Verneigung verabschiedet. Da wurden verschwitzte Hände geschüttelt, Freundlichkeiten ausgetauscht und immer wieder war die Aufforderung, doch bald wieder zu kommen, zu hören. Das „Ja sicher“ ist mitleiweile gut überlegt, eine Verpflichtung und wirkt sich auch auf Urlaubsplanungen aus.
Über SOS-Kinderdorf laufen derzeit mehr als 2.100 Projekte und Programme in 135 Ländern dieser Erde. Weltweit engagieren sich nach dem Leitsatz von Hermann Gmeiner „Damit Gutes in der Welt geschehen kann, braucht es Menschen, die mehr tun, als sie tun müssen“ Männer und Frauen und stellen ihre Dienste für die Kinder ihres Landes zur Verfügung. Oberstes Prinzip dabei ist, dass an der jeweiligen Kultur und Religion angedockt wird und diese auch in den Dörfern gelebt und gelehrt wird. Mehr Infos zu den Projekten und Unterstützungsmöglichkeiten unter http://www.sos-kinderdorf.at