Birgit Konrad

Eine Frage der Haltung. Ich bin in einem kleinen Ort im schönen Innviertel geboren. Wenn ich zurückdenke an meine Kindheit, dann erinnere ich mich noch gut daran, dass beide Omas immer wieder mal ein Kopftuch getragen haben, zum Kirchengang oder wenn es kalt war. Oder einfach so, damit man sich „ganz“ angezogen fühlte. Die eine Oma blieb diesem Brauch bis zu ihrem Tod treu, die andere ist im Laufe ihres Lebens dann auf Kappe, Haube und Hut umgestiegen.

Die Tücher sind ja auch erst einmal ein Stück Stoff, leblose Materie, aus der alles Mögliche geschneidert werden kann. Bei der Produktion des Stoffes ist meist nicht vorgegeben, was daraus einmal werden soll. Wird aus dem Stoff ein Tuch, dann wird in unseren Breitengraden das Kleidungsstück plötzlich zu einer Metapher für Unterdrückung, Fanatismus und Rückwärtsgewandtheit. Es polarisiert und schürt Ängste und Vorurteile. Diese Dinge passieren in den Köpfen der Menschen auf Basis von eigenen Prägungen, mentalen Modellen und auch Vorurteilen, die in der eigenen Sozialisation gewachsen sind. Würde das Tuch funktional und ohne Wertung als das gesehen, was es ist, nämlich ein Stück Stoff, das halt zufällig keine Bluse oder Hose, sondern ein Tuch zur Kopfbedeckung geworden ist, gäbe es keinen Grund für Aufregung. Der entsteht erst durch die Botschaft des Trägers bzw. der Trägerin oder durch die Interpretation der anderen.

Mein Sohn, er ist jetzt 13 Jahre alt, wächst zwischen den Kulturen, quasi zwischen Menschen mit und ohne Kopftüchern auf. Ist doch seine Mutter eine Innviertlerin und sein Vater Kurde, geboren in der Türkei. Beide sind österreichische Staatsbürger, aber eben aus unterschiedlichen Kulturen. Beide Omas kennt mein Sohn sehr gut. Die eine trägt kein Kopftuch und die andere, kulturell, traditionell und religiös geprägt, schon. Bei Kindern führt sowas meiner Meinung nach nie zu Irritationen. Zu diesen kommt es immer erst, wenn gewisse Ängste vermittelt werden, wie es halt sehr oft ist, wenn etwas „fremd“ ist. Für ihn war das Kopftuch also nie Thema, da er beide Seiten emotional positiv und unvoreingenommen innerhalb der Familie kennenlernen durfte. Mensch ist Mensch, egal welcher Kultur er angehört und an welche Religion er glaubt. Und sind wir doch ehrlich, niemand auf der Welt kann bestimmen, wo er auf die Welt kommt und durch welche Grundwerte das Leben erst einmal bestimmt wird.

Wichtig ist es nur, ein guter Mensch zu sein. Und ein gutes Leben zu führen, in dem auch das Gute überwiegt. So wie der österreichische Philosoph und Ethiker Clemens Sedmak in seinem Buch „Das Gute leben“[1] beschreibt. Die Suche nach dem Guten ist für ihn auch die Suche nach dem wirklich Wichtigen und Richtigen und nach einer ethischen Haltung. Manchmal bedeutet diese Suche „nachzugraben“ und in die Tiefe zu gehen, was anstrengend sein kann. Aber nur so kommt man zu einer guten Balance und Wertehaltung im Leben. Selbstreflexion und Nachdenken über sich selbst und das Leben – und dabei eine gute Beziehung zu sich selber aufbauen. Manchmal, so ein Rat des international anerkannten Philosophen Sedmak, sollte man einen Brief an sich selber schreiben und dabei eine eigene Ethik entwickeln, quasi eine Gebrauchsanweisung für sich selbst.

Schreiben Sie uns Ihre Kopftuchgeschichte: mail to: kopftuchgeschichten@yahoo.com

Aus: Das Kopftuch ABC von Edith Konrad und Seinab Alawieh, IKON Verlag 2017, Brunn am Gebirge, ISBN 978-3-99023-475-4

[1] Sedmak, Clemens (2015), Das Gute leben, Von der Freundschaft mit sich selbst, 3. Auflage, Innsbruck, Tyrolia