Eingefahrene Verhaltensmuster verändern Sie schneller durch Verhaltensdesigns als durch Trainings. Deshalb lohnt es manchmal, Regeln und vorgegebene Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese zu Verhaltensänderung führen. Wer jedoch von ausgefahrenen Denk-Autobahnen runter und hin zu mehr Menschlichkeit durch ein- und mitfühlende Interaktion mit anderen will, der kommt nicht umhin, dafür Zeit zu investieren und sich in Selbstreflexion zu üben. Im Buch „Das Geheimnis guter Führung“ finden Sie viele Ideen, Tipps und Anregungen sowie Übungsbeispiele, wie Sie zum einen schnelle Veränderungen durch neue Designs herbeiführen, aber auch nachhaltige Persönlichkeitsprozesse in Gang setzen können. In diesem Artikel finden Sie Inputs aus dem dritten Teil des Buches für kleine, rasche Veränderungen mit großer Wirkung und Hintergründe, warum das sehr gut funktioniert.
Lassen Sie und mit einigen Beispielen beginnen. Das Boston Symphonic Orchester schaffte zwischen 1970 und 2000 durch eine kleine Veränderung beim Vorspielen von Bewerberinnen und Bewerbern, dass der Anteil der Frauen im Orchester von fünf Prozent auf 35 Prozent anstieg. Das Geheimnis: ein Vorhang, der beim Vorspielen zwischen Bewerberinnen und Bewerber und die Jury gespannt wurde. Viele internationale Orchester folgten diesem Vorbild. Kleine Intervention, große Wirkung, die auch zu besserer Qualität führte.
Seit es Schlüsselkarten in Hotels gibt, die für die Stromversorgung im Zimmer mittels Kartenslot zuständig sind, wird dort nachweislich Energie gespart. Denn die Key-Card brauchen wir, wenn wir ins Hotelzimmer wollen. Deshalb ist sie beim Verlassen des Zimmers mitzunehmen. Dadurch wird die Stromzufuhr unterbrochen und alle Lichter, laufende Fernseher etc. gehen aus. Appelle an der Rezeption, die Lichter beim Verlassen der Zimmer zu löschen oder auch schriftliche Aufforderungen in den Zimmern sind wesentlich ineffizienter als die kleine Plastikkarte.
Eine Studie in Israel hat bewiesen, dass Urteile, die von Richterinnen und Richtern noch vor dem Mittagessen gefällt werden, dem Status Quo folgten. Urteile nach einer gemütlichen Mittagspause mit Essen fielen wesentlich differenzierter und auch milder aus, da mit vollem Magen anscheinend gründlicher abgewogen wird. Gerade dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, welche Wirkung ein schlechtes Design haben kann, auch wenn dieses auf reinem Zufall basiert. Umso wichtiger ist es, diesen Fragen in Zukunft mehr Bedeutung zu schenken. Dazu braucht es in der Regel nicht viel Geld und großartige Investitionen, sondern ausgeprägtes Bewusstsein dafür, wie das Design auf die Umgebung wirkt.
Es reichen oft schon Sichtschutzwände, und das Ergebnis der Personalauswahl oder auch im Produktionsbereich ist verblüffend anders. Oder anonymisierte Bewerbungsunterlagen, die in den USA seit Jahrzehnten Gang und Gäbe sind. Oder strukturierte Fragebögen in jeweils der gleichen Reihenfolge mit unmittelbarer Bewertung jeder einzelnen Frage, bevor man zur nächsten übergeht. Oder einfach neue Automatismen zu schaffen, anstatt Menschen durch Anreize zu bestimmten Handlungen zu motivieren. Die dänische Regierung hat diese Erkenntnis genutzt und ist von Steueranreizen, mit denen das Sparverhalten der Menschen beeinflusst werden sollte, abgegangen. Diese waren lange Zeit ins Leere gegangen, weil die Menschen von sich aus aktiv werden hätten müssen und dies die meisten nicht machten. Daraufhin wurde das Rentensystem auf automatische Zahlungen des Arbeitgebers an ein Rentenkonto umgestellt. Und siehe da: Dänemark gehört heute zu den Ländern mit den bestens funktionierenden Pensionssystemen der Welt.
Eine gute Frage, die sich sehr einfach erklären lässt. Das Phänomen nennt sich „statistische Diskriminierung“. Ausgehend von der Tatsache, dass jeder Mensch Vorurteile ins sich trägt, belegen Feldexperimente in den USA die statistische Diskriminierung in unzähligen Studien. So verlangten Verkäuferinnen und Verkäufer regelmäßig beim Gebrauchtwagenverkauf von afroamerikanischen Käufern und weiblichen (schwarzen und weißen) Käuferinnen signifikant höhere Kaufpreise. Warum? Sie wussten aus der Marktforschung und ihrer Verkaufserfahrung, dass diese Personengruppen sich beim Autokauf im statistischen Mittel weniger auskennen als weiße männliche Kunden. Interessantes Detail: Diese Mechanismen setzen auch dann ein, wenn die Verkäuferinnen und Verkäufer vorab über das Faktum der statistischen Diskriminierung informiert worden waren.
Andere Phänomene, denen wir permanent auf den Leim gehen, werden in der Literatur mit den Begriffen „verzerrte Wahrnehmung“, „Halo-Effekt“, „Rückschaufehler“, „Heuristiken“ oder „Framing, Priming und Nudging“ beschrieben. Mehr dazu erfahren Sie im dritten Teil des Buches „Das Geheimnis guter Führung“. Anhand alltäglicher Beispiele wird aufgezeigt, wie eigenes Handeln wirkt und was es bewirken kann und wie Sie durch kleine Veränderungen von Designs sehr rasch zu gewünschten Erfolgen kommen können. Das alles ersetzt allerdings nicht die permanente Selbstreflexion und Arbeit an eigenen Haltungen und Werten. Deshalb steht das Kapitel „Kleine Veränderung – große Wirkung – Ein Leitfaden zur Implementierung von Verhaltensdesigns“ auch am Ende des dreiteiligen Buches. Die Tipps sind als Ergänzung und Hilfsmittel gedacht, wenn eingefahrene Verhaltensmuster rasch und nachhaltig verändert werden müssen. Gerade für Führungskräfte ist dies manchmal von größter Bedeutung für den Fortbestand des Unternehmens.
Generell gilt aber: Haltungen, Wertemodelle und mentale Konzepte, die wir aus unserer Kindheit mitbringen, zu verändern braucht Zeit und gemeinsame oft mühevolle Prozesse. Mögliche Wege dazu sind in Teil eins und zwei des Buches aufgezeigt. Für diese beiden Teile benötigen Sie allerdings Ausdauer und vor allem den Willen, nachhaltig neue Formen der Interaktion mit anderen erarbeiten zu wollen. Erkennen, auftauen, verändern und das Neue einfrieren, wie es Kurt Lewin[1] anschaulich in seinem Modell über das Lernen darstellt, sind Prozesse, die gut vorbereitet und am besten auch gut begleitet werden müssen. Die Reihenfolge des Lesens der drei Abschnitte und einzelner Kapitel darin und des Lernens dabei bleibt der Leserin, dem Leser überlassen. Es kann auch zwischen den einzelnen Buchteilen und Kapiteln hin- und hergesprungen werden. Greifen Sie das Thema auf, das Sie gerade am meisten berührt oder das in Ihrer Prioritätenliste ganz vorne steht.
Sie ertappen sich hin und wieder dabei, wie sie vorschnell Urteile fällen, Menschen in sogenannte „Schubladen“ stecken, obwohl sie den einzelnen gar nicht kennen und überwiegend News lesen, die sie in ihren Meinungen und in Ihrer Haltung bestätigen? Dann sind Sie in guter Gesellschaft von einigen Milliarden Menschen auf dieser Erde und gehören zur Zielgruppe, für die dieses Buch geschrieben wurde. Nur Designs zu verändern und Rahmenbedingungen zu gestalten, greift hier deutlich zu kurz. Denn unsere mentalen Modelle tragen wir seit unserer Kindheit mit uns rum. Sie beeinflussen uns Tag und Nacht, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und die vermeintliche Realität erleben. Richtig oder falsch, Wahrheit oder Lüge? Ein und dieselbe Sache wird häufig je nach persönlicher Prägung und ausgehend vom eigenen Standpunkt ganz unterschiedlich interpretiert. Die vermeintliche „Wahrheit“ davon abzuleiten führt sehr oft in die Irre. Wie wir gerade weltweit erleben können, leider oft auch zu Krieg und in Verderben und menschliches Leid.
Der Sufi Rumi[2] hat vor nun mehr als 800 Jahren festgestellt, dass es jenseits von richtig und falsch einen Ort gibt und dass es sich lohnt, sich an diesem Ort zu treffen, auszutauschen und gemeinsam neue Lösungen zu finden. Um ihn zu finden muss es uns aber gelingen, über den Tellerrand zu schauen, eigene Denkmuster zu hinterfragen und manchmal einfach die Perspektive des anderen einzunehmen. Zuhören, verstehen und akzeptieren, auch wenn uns im Moment für die konkrete Beobachtung das Verständnis fehlt. Absichtslos hinschauen[3] Innehalten und „in der Schwebe halten“, das sind Schlagworte, die das umschreiben, was unserer Gesellschaft heute in vielen Bereichen fehlt. Wenn Sie das ähnlich sehen und aktuell Polarisierung, Diffamierung und Ausgrenzung verschiedenster Gruppen erleben, dann nichts wie los und eintauchen in die Geheimnisse guten Führens. Egal, wo sie aktiv sind: in pädagogischen Kontexten und im Bildungsbereich, in Gruppen und Vereinen, als Führungskräfte oder Chefinnen und Chefs von Unternehmen, in Kindergärten, Schulen oder ganz im Kleinen in der Familie. Viel Spaß beim „Auftauen, Verändern und Einfrieren“ und wenn Sie Fragen, Anregungen oder Erfahrungen zu diesem Thema haben, gerne an office@ipi.co.at schreiben!
[1] Kurt Lewins Feldtheorie und sein 3-Phasen-Modell zu den wichtigsten Modellen der Sozialpsychologie, die sich mit Erleben und Verhalten im sozialen Kontext beschäftigt und zu den psychologischen Grunddisziplinen zählt. Auf sehr anschauliche Weise heruntergebrochen erklärt das 3-Pahsen-Modell, wie Veränderungen in sozialen Gruppen initiiert und begleitet werden können.
[2] Sufi Rumi ist auch bekannt als Jalal ad-Din Muhammad Balkhi. Er war ein persischer Dichter, Theologe und Mystiker im 13. Jahrhundert nach Christus, dessen Gedichte und Schriften bis heute weltweit verbreitet sind und gelesen werden.
[3] Vgl. dazu die philosophischen Werke von Martin Mordechai Buber. Er war ein österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph und ist weltweit bekannt für seine Arbeit zur Dialogphilosophie (gemeinsam mit dem Quantenphysiker David Bohm) und zum Chassidismus. Er wurde 1878 in Wien geboren und starb 1965 in Jerusalem, wohin er in der Nazizeit emigrierte. Seine oft zitierte Aussage „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ — Martin Buber Werke I. Schriften zur Philosophie, S. 97 – prägt bis heute Philosophie und Theologie. Sie auch: https://www.martin-buber.com/